Boote und Schiffe

Segelboote sind ein häufiges Motiv auf den gotländischen Bildsteinen der Wikingerzeit. Auf den älteren Steinen sind segellose, manchmal mit Rudern versehene Boote abgebildet. Boots- oder Schiffsdarstellungen finden sich bereits in norwegischen Felsritzungen der Steinzeit, und auch diese trugen wie die späteren Wikingerschiffe offensichtlich Tierköpfe an Bug und Heck. Auch Darstellungen auf dänischen Kultdolchen der Bronzezeit sowie schwedische Felsritzungen derselben Epoche zeigen Bildnisse von Wasserfahrzeugen mit lang heraufgezogenen Steven und zum Teil mit angedeuteten Kopfverzierungen. Von über 10000 dieser Bilder sind Boote nach den Menschen die häufigsten Darstellungen. Auch auf der Sternenscheibe von Nebra ist mutmaßlich ein Schiff abgebildet.

Unsere Ahnen siedeln seit tausenden von Jahren vorwiegend in Wassernähe. Dieses erfolgte nicht nur auf Grund einer Erweiterung des Speiseplans durch Fischfang, sondern vorwiegend wegen der Möglichkeit, längere Wegstrecken bequemer zurücklegen zu können, denn Landreisen dauerten länger und waren zu früherer Zeit auch gefährlicher. Der Bau und die Verwendung von Wasserfahrzeugen hat somit entscheident zur Bildung unserer Kultur beigetragen. Die Wikingerschiffe gelten noch heute als Meisterwerke der Schiffbaukunst und waren allen anderen Schiffstypen ihrer Zeit in Geschwindigkeit, Flexibilität und Reichweite überlegen.

In verschiedenen alten Texten wird eine Bestattungsform beschrieben, in welcher ein brennendes Schiff mit dem Toten an Bord auf das Meer hinaussegelt. Während der Wikingerzeit errichtete man Grabumrandungen häufig in Schiffsform und legte, wie zum Beispiel in Lindholm Hoje in Dänemark, auch ganze Friedhöfe in diesem Stil an. Höher gestellte Persönlichkeiten, wie die mutmaßliche Hohepriesterin von Oseberg, konnten auch mitsamt einem ganzen Schiff und nahezu komplettem Hofstaat bestattet werden. Die Vorfahren dieser Frau werden genetisch übrigens dem Schwarzmeerraum zugeordnet, was den Umgang der Wikinger mit "Ausländern" eindrucksvoll unterstreicht...

Die germanische Mythologie nennt im wesentlichen drei Schiffe: Zum einen Balders Leichenschiff, welches "Hringhorni" (Übers.: Schiff mit einem Kreis) genannt wird und durch diese Bezeichnung an die bronzezeitlichen Felsritzungen erinnert. Dieser (mit einem Kreuz versehene) Kreis gilt als Sonnensymbol und weist damit auf das Sonnenschiff "Skidbladnir" des Gottes Freyr hin. Dieses Gefährt gilt als eines der wundersamsten Schiffe überhaupt: Es segelt immer mit Wind und kennt daher keine Flaute, lässt sich wie ein Tuch zusammenlegen und in einem Beutel verstauen, und trotzdem finden alle Götter mit voller Ausrüstung darin Platz. Dieses "beste aller Schiffe" steht im Kontrast zum "größten aller Schiffe", welches als "Naglfar" erst beim Ragnarök eine Rolle bekommt. Letzteres findet sich unter diesem Namen als Totenschiff im neuzeitlichen Volksglauben bis nach Osteuropa hinein wieder und hat in unserem Kulturraum auch die Auslegungen der christlichen Mythen entscheident beeinflusst.